In diesem Beitrag geht es um die hundeunterstützte Psychotherapie als Unterstützung für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Denn Hunde sind durch ihr besonderes Wesen ideal geeignet, um als Therapiebegleithunde Menschen in verschiedenen Lebenslagen zu unterstützen. In diesem Artikel gibt uns Mag. Christina Hatwagner einen tieferen Einblick in die hundeunterstützte Psychotherapie bei ASS.
Dieser Beitrag ist eine kürzere und einfacher gehaltene Version des Artikels Hundeunterstützte Psychotherapie bei Autismus-Spektrum-Störung. Wer schon etwas Vorwissen mitbringt und/oder sich gerne etwas detailreicher informieren möchte, dem legen wir die (zusätzliche) Lektüre der längeren Version ebenfalls ans Herz.
Was ist eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS)?
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) haben durch eine unterschiedliche (=diverse) Arbeitsweise ihres Gehirns (=neuro) einen oft völlig anderen Blick auf ihre Umwelt. ASS hat aber, wie die Diagnose Hochbegabung oder Legasthenie, keinen pathologischen Charakter, sondern ist eine natürliche Form der menschlichen Diversität.
Betroffene leiden meist, auf Grund einer neurologischen Filterschwäche unter starken Hypersensibilitäten (verstärkt
Überforderung durch neurotype Gesellschaft
Nicht die Neurodiversität beeinträchtigt Betroffene, sondern die Ausrichtung ihres nahezu gesamten Alltags auf Bedürfnisse einer neurotypen (neuro = das Gehirn und Nervensystem betreffend, typen = der Norm entsprechend) Gesellschaft und folglich neurotyper Mitmenschen mit all ihren neurotypen Umgangsformen. Aber auch Vorurteile bringen Menschen mit ASS in eine permanente Überforderung.
Als letzten Ausweg diesen körperlichen Stress abzubauen, kommt es bei Autisten schlussendlich oft zu einem völligen Overload, welcher, für Außenstehende einem Wutausbruch sehr ähnelt. Kreischen, Treten, Schreien, Aufstampfen, Fluchen, Beißen! Im Unterschied zu einem Wutausbruch, welcher zur Beachtung führen soll, und unmittelbar nach Bedürfnisbefriedigung abrupt endet, ist der sogenannte „Meltdown“ eine Reaktion des Körpers auf Reizüberflutung oder überwältigende Emotionen. Der Betroffene verliert sich in seinen Gefühlen, verliert den Bezug zur Außenwelt und der Zusammenbruch würde auch ohne Beachtung solange andauern bis sich der Betroffene durch einen beruhigenden Ortswechsel oder eine unterstützende Person wieder beruhigen kann. [1]
[1] Webinar: Autismus-Spektrum-Störungen: Diagnosespezifisches Wissen und praktische Anwendungsmöglichkeiten für die Psychotherapie, Mag. Alexandra Sinzinger
Therapiebegleithunde als „Eisbrecher“
An dieser Stelle kommt ein beruhigend agierender Therapiebegleithund ins Spiel. Selbstverständlich stellt ein Therapiebegleithund kein adäquates Mittel zur Beruhigung autistischer Kinder im Akutzustand eines Meltdowns dar. Unsere Tiere dürfen selbstverständlich nur bei Kindern unterstützend eingesetzt werden, wenn das Behandlungssetting ohne vorhersehbare Impulsdurchbrüche bei den behandelnden KlientInnen geplant werden kann.
Insbesondere bei Kindern mit Autismus wirken Hunde oft als Eisbrecher und können eine wunderbare Unterstützung beim Beziehungsaufbau bilden. Beispielsweise haben Kinder oft sehr schnell eine Idee was dem Hund im Falle großer Nervosität guttun könnte. Im Gegensatz dazu konnte ich oft beobachten, dass Kinder im Allgemeinen oft verstummen, wenn sie über eigene Bedürfnisse befragt werden.
Speziell für Menschen im Spektrum sind Tiere im Allgemeinen viel einfacher zu lesen und zu verstehen als wir Mitmenschen mit all unseren unterschiedlich interpretierbaren Gesichtsausdrücken, Gestiken und sprachlichen Stolpersteinen. Ganz klare Signale wie die Lage der Ohren, die Bewegung des Schwanzes oder das Hören auf sehr basale Kommandos, wie „Sitz“, „Platz“ oder „Stopp“ geben den Kindern mit ASS viel mehr Sicherheit und das Gefühl verstanden zu werden und das Gegenüber einschätzen zu können.
Chancen für TherapeutInnen durch den Einsatz von Therapiebegleithunden
Dem/der TherapeutIn wiederum gibt das Zusammenspiel mit dem Hund die gemeinsame Möglichkeit Verhaltensweisen des Hundes dem/der KlientIn gegenüber zu hinterfragen. „Wieso legt sich Apollo nun auf den Rücken?“ „Warum entfernt sich Apollo nun von uns?“ „Wie muss ich mit Apollo sprechen, damit ich seine Aufmerksamkeit erlange?“
Der Umgang mit dem Hund „schafft also Erfahrungsräume, in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Möglichkeit haben, selbstständig zu lernen, Selbstvertrauen aufzubauen und Beziehungen anzubahnen und herzustellen.“[1]
[1] Simantke/Stephan 2003, S.298
Über die Autorin
Mag. Christina Hatwagner
Psychotherapeutin (Transaktionsanalyse) und
Bindungsanalytikerin nach Hidas und Raffai mit eigener Praxis in 1120 Wien.
Apollo absolvierte seine Therapiebegleithunde-Ausbildung bei dogs4kids im Team mit Mag. Christina Hatwagner.
Literatur:
Simantke, Christel/ Stephan, Ingrid 2003: Der Einsatz von Nutztieren im (sonder-)pädagogischen Arbeitsfeld. In: Olbrich, Erhard/Otterstedt, Carola (Hg.): Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag-GmbH&Co. KG. S. 296-303.
Das Therapiebegleithunde- Arbeitsbuch.
Tiergestützte Psychotherapie mit Kinder und Jugendlichen.
Editorial Perspective: Neurodiversity – a revolutionary concept for autism and psychiatry, The Journal of Child Psychology and Psychiatry, Volium 58, Issue 6, Juni 2017, Pages 744-747
Tiergestützte Interventionen bei Autismus-Spektrum-Störungen – Ein Ländervergleich zwischen Deutschland und den USA, Bachelorarbeit von Vanessa Weidinger, Regensburg, 30.April, 2019
Webinar: Autismus-Spektrum-Störungen: Diagnosespezifisches Wissen und praktische Anwendungs- möglichkeiten für die Psychotherapie, Mag. Alexandra Sinzinger
Webinar: Christina Taferner, Neuigkeiten im ICD-11, Autismus-Spektum-Störung, ÖBVP Webinar, 03.03.2023