Hundeunterstützte Psychotherapie bei Autismus-Spektrum-Störung

by Alina Rupp
Autismus: Menschen, die unter einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) leiden, profitieren vom sanften Wesen eines Therapiebegleithundes. /Foto: Laura Fay (Canva)

Hunde sind durch ihr besonderes Wesen ideal geeignet, Menschen in verschiedenen Lebenslagen zu unterstützen. So können sie auch Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) helfen. In diesem Beitrag gibt uns Mag. Christina Hatwagner einen tieferen Einblick in die hundeunterstützte Psychotherapie als Unterstützung für Menschen mit ASS.

Da dieser Text wissenschaftlich gehalten ist und ein bestimmtes Vorwissen hinsichtlich ASS voraussetzt, finden alle Interessierten hier auch eine kürzere und einfacher gestaltete Version des Artikels zur (zusätzlichen) Lektüre.

 

Was sind Neuroentwicklungsstörungen?

Die neue Auflage des ICD 11 fasst entwicklungsneurologische Störungen (zb Sprachentwicklungsstörungen, Lernstörungen, Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen) unter „Neuroentwicklungsstörungen“ zusammen und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass Menschen im Spektrum nicht zwangsläufig Beeinträchtigungen im pathologischen Sinn haben müssen.

Eine im ICD 11 nicht mehr relevante Unterteilung stellte in den vorherigen Auflagen vor allem jene in den frühkindlichen Autismus, welcher tatsächlich mit schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen einhergeht, und den Asperger Autismus dar.

Wie wird der Therapiebegleithund bei ASS eingesetzt?

Während die hundeunterstützte Arbeit mit frühkindlichen Autisten in erster Linie zur Skillsförderung, aber auch als Entspannungsmaßnahme eingesetzt werden kann, dient der Therapeut auf vier Pfoten (Therapiebegleithund) bei Asperger[1] Autisten, im weiteren Verlauf hochfunktionelle Autisten genannt, tatsächlich oft als Brückenbauer in eine Welt, die Betroffenen ihr Leben lang schwer begreifbar erscheint.

Hochfunktionelle Autisten besitzen ein neurodivers funktionierendes Gehirn, leiden aber, im Gegensatz zu frühkindlichen Autisten, an keinen weiteren (Sprach-)Entwicklungsverzögerungen oder kognitiven Einschränkungen. Im Gegenteil, sehr oft geht bei KlientInnen mit dieser Form des Autismuses ebenfalls die Diagnose „Hochbegabung“ einher.

[1] Die Bezeichnung „Asperger Autismus“ geht auf den im 2. Weltkrieg an der Uni Wien forschenden Kinderarzt Hans Asperger zurück, welcher nachweislich Beihilfe zum Euthanasieprogramm der Nazis geleistet hat und wird deswegen von vielen Betroffenen abgelehnt.

Neurodiversität – Neurotype und neurodiverse Menschen

Die Neurodiversität beeinflusst den Blick auf die Umwelt und den Umgang mit den Mitmenschen, ist aber wie eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Hochbegabung oder Legasthenie eine natürliche Form der menschlichen Diversität und hat folglich keinen pathologischen Charakter. Eine psychotherapeutische Unterstützung ist für die meisten Betroffenen sehr hilfreich und erleichtert das Zusammenleben auf beiden Seiten immens.

Betroffene leiden meist, auf Grund einer neurologischen Filterschwäche unter starken Hypersensibilitäten (verstärkte Sensibilität auf Sonneneinstrahlung, erhöhten Geräuschpegel oder verschiedene Texturen der Kleidung oder des Essens). Ein anderer Aspekt der Neurodiversität ist die meist sehr eingeschränkte Fähigkeit, Gedankengänge und Absichten neurotyper Personen nachvollziehen oder sich in deren Lage versetzen zu können (Theory of Mind).

Laut einem Bericht, dessen Ausarbeitung vom Autism Research Trust unterstützt wurde, zeigen sich laut Studien, dass sich die Gehirne von neurotypen und neurodiversen Menschen insofern unterscheiden, als dass das autistische Gehirn eine größere Anzahl an Neuronen, beispielsweise im Frontallappen, besitzt. Auf der Ebene des einzelnen Neurons fanden die Forscher eine erhöhte Anzahl dendritischer Stacheln in autistischen Neuronen, was nicht nur zu mehr Neuronen, sondern auch zu mehr Synapsen und Verbindungen zwischen Neuronen im autistischen Gehirn führt. Das Gehirn ist schlichtweg anders verdrahtet als jenes neurotyper Menschen.[1]

Nicht die Neurodiversität beeinträchtigt Betroffene, sondern die Ausrichtung ihres nahezu gesamten Alltags auf Bedürfnisse einer neurotypen Gesellschaft und folglich neurotyper Mitmenschen mit all ihren neurotypen Umgangsformen. Aber auch Vorurteile und inadäquate Kategorisierungen bringen vor allem Menschen mit hochfunktionellem Autismus in eine permanente Überforderung.

Als letzten, sozial meist völlig abgelehnten, Ausweg diesen körperlichen Stress abzubauen, kommt es bei Autisten schlussendlich zu einem völligen Overload, welcher, für Außenstehende einem Wutausbruch sehr ähnelt. Kreischen, Treten, Schreien, Aufstampfen, Fluchen, Beißen! Im Unterschied zu einem Wutausbruch, welcher zur Beachtung führen soll, und unmittelbar nach Bedürfnisbefriedigung abrupt endet, ist der sogenannte „Meltdown“ eine Reaktion des Körpers auf Reizüberflutung oder überwältigende Emotionen. Der Betroffene verliert sich in seinen Gefühlen, verliert den Bezug zur Außenwelt und der Zusammenbruch würde auch ohne Beachtung solange andauern bis sich der Betroffene durch einen beruhigenden Ortswechsel oder eine unterstützende Person wieder beruhigen kann. [2]

[1] Editorial Perspective: Neurodiversity – a revolutionary concept for autism and psychiatry, The Journal of Child Psychology and Psychiatry, Volium 58, Issue 6, Juni 2017, Pages 744-747

[2] Webinar: Autismus-Spektrum-Störungen: Diagnosespezifisches Wissen und praktische Anwendungsmöglichkeiten für die Psychotherapie, Mag. Alexandra Sinzinger

Vorzüge durch den Einsatz von Therapiebegleithunden im therapeutischen Setting

An dieser Stelle möchte ich die Vorzüge eines dafür ausgebildeten und/oder besonders empathischen und beruhigend agierenden Therapiebegleithundes im therapeutischen Setting beschreiben.

Nicht weiter erwähnen muss ich, dass selbst Therapiebegleithunde kein adäquates Mittel zur Beruhigung autistischer Kinder im Akutzustand eines Meltdowns darstellen und dass unsere Fellnasen selbstverständlich nur mit Kindern unterstützend eingesetzt werden dürfen, wenn das Behandlungssetting ohne vorhersehbaren Impulsdurchbrüche bei den behandelnden KlientInnen geplant werden kann.

Autismus Spektrum Störung (ASS): Gerade bei Kindern wirken Hunde oft als Eisbrecher. /Foto: Sarah Rhypma (Canva)
Gerade bei Kindern wirken Hunde oft als Eisbrecher. /Foto: Sarah Rhypma (Canva)

Insbesondere bei Kindern mit Autismus wirken Hunde oft als Eisbrecher und können eine wunderbare Unterstützung beim Beziehungsaufbau bilden. Beispielsweise haben Kinder oft sehr schnell eine Idee was dem Hund im Falle großer Nervosität guttun könnte. Im Gegensatz dazu konnte ich oft beobachten, dass Kinder im Allgemeinen oft verstummen, wenn sie über eigene Bedürfnisse befragt werden.

Hunde wecken also grundsätzlich oft das Bedürfnis verbal oder nonverbal in Kontakt zu treten. Speziell für Menschen im Spektrum sind Tiere im Allgemeinen viel einfacher zu lesen und zu verstehen als wir Mitmenschen mit all unseren unterschiedlich interpretierbaren Gesichtsausdrücken, Gestiken und sprachlichen Stolpersteinen. Ganz klare Signale wie die Lage der Ohren, die Bewegung des Schwanzes oder das Hören auf sehr basale Kommandos, wie „Sitz“, „Platz“ oder „Stopp“ geben den Kindern mit ASS viel mehr Sicherheit und das Gefühl verstanden zu werden und das Gegenüber einschätzen zu können.

Dem/r TherapeutIn wiederum gibt das Zusammenspiel mit dem Hund die gemeinsame Möglichkeit Verhaltensweisen des Hundes dem/der KlientIn gegenüber zu hinterfragen. Es führt sehr oft zu einer wertfrei gesehenen Möglichkeit die Begegnung mit dem Tier zu hinterfragen. „Wieso legt sich Apollo nun auf den Rücken?“ „Warum entfernt sich Apollo nun von uns?“ „Wie muss ich mit Apollo sprechen, damit ich seine Aufmerksamkeit erlange?“

Der Umgang mit dem Hund „schafft also Erfahrungsräume, in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Möglichkeit haben, selbstständig zu lernen, Selbstvertrauen aufzubauen und Beziehungen anzubahnen und herzustellen.“[1]

Wie in der Bachelorarbeit von Vanessa Weidinger aufgelistet wird, führen tiergestützte Interventionen laut O´Haire und Gabriels nachweislich zu:

  • erhöhter sozialer Interaktion und sozialen Verhaltensweisen
  • mehr pro- sozialem Verhalten und weniger Problemverhalten
  • Verbesserung der Sprache und Kommunikation
  • Reduzierung von (sozialen) Angstzuständen
  • weniger sozialem Rückzug
  • Verbesserung in der sensorischen Integration (O`Haire/Gabriels 2017, S.90)[2]

[1] Simantke/Stephan 2003, S.298

[2] Tiergestützte Interventionen bei Autismus-Spektrum-Störungen – Ein Ländervergleich zwischen Deutschland und den USA, Bachelorarbeit von Vanessa Weidinger, Regensburg, 30.April, 2019

Über die Autorin

Mag. Christina Hatwagner

Psychotherapeutin (Transaktionsanalyse) und
Bindungsanalytikerin nach Hidas und Raffai mit eigener Praxis in 1120 Wien.

Apollo absolvierte seine Therapiebegleithunde-Ausbildung bei dogs4kids im Team mit Mag. Christina Hatwagner.

Christina Hatwagner mit Apollo. /Foto: Christina Hatwanger

Literatur:

Simantke, Christel/ Stephan, Ingrid 2003: Der Einsatz von Nutztieren im (sonder-)pädagogischen Arbeitsfeld. In: Olbrich, Erhard/Otterstedt, Carola (Hg.): Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag-GmbH&Co. KG. S. 296-303.

Das Therapiebegleithunde- Arbeitsbuch.
Tiergestützte Psychotherapie mit Kinder und Jugendlichen.

Editorial Perspective: Neurodiversity – a revolutionary concept for autism and psychiatry, The Journal of Child Psychology and Psychiatry, Volium 58, Issue 6, Juni 2017, Pages 744-747

Tiergestützte Interventionen bei Autismus-Spektrum-Störungen – Ein Ländervergleich zwischen Deutschland und den USA, Bachelorarbeit von Vanessa Weidinger, Regensburg, 30.April, 2019

Webinar: Autismus-Spektrum-Störungen: Diagnosespezifisches Wissen und praktische Anwendungs- möglichkeiten für die Psychotherapie, Mag. Alexandra Sinzinger

Webinar: Christina Taferner, Neuigkeiten im ICD-11, Autismus-Spektum-Störung, ÖBVP Webinar, 03.03.2023

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