Lesen mit Lesehunden

Der Einsatz von Lesehunden bei der Förderung leseschwacher Schüler*innen

by Alina Rupp
Lesehund in der Schulbibliothek mit einem geöffneten Buch. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl

Manch eine*r wundert sich vielleicht noch, wenn sie oder er die Schulbibliothek betritt und dort freudig von einem Hund begrüßt wird. Andere kommen genau deshalb hin, weil sie hoffen, dass sie dort einen pelzigen Vierbeiner mit kalter Schnauze zum Streicheln vorfinden. Für die meisten ist es mittlerweile ein gewohnter Anblick und gehört zum Schulalltag, wenn ihnen ab und an Cuca oder Chico, so heißen die beiden Lesehunde, in der Schulbibliothek oder in der Aula, am Gang, in einem Klassenzimmer oder im Schulgarten begegnen.

Während Schulhunde oder Schulbesuchshunde bereits seit Beginn der 2000er Jahre im deutschen Sprachraum in unterschiedlichen, eher allgemeinen, schulischen Kontexten zum Einsatz kommen, ist das Konzept der Lesehunde verhältnismäßig neu. Aber es hat sich zunehmend als wirksame Methode zur Leseförderung bei Kindern etabliert. Mittlerweile zeigen auch diverse Studien die Vorteile der hundegestützten Leseförderung (vgl. z.B. Hall/Gee/Mills, 2016) auf. Im Fokus stehen hierbei die Reduzierung von Stress und die Steigerung der Motivation der Lesenden. Leseförderung mit Hund stellt ein modernes und innovatives Konzept im Bereich der Leseerziehung dar. Es verbindet die schon in der Praxis bewährten, schulischen Lesefördermaßnahmen mit aktuellen Erkenntnissen aus dem Bereich der tiergestützten Arbeit.

Lesekompetenz – Mehrebenenmodell nach Rosebrock/Nix

Den theoretischen Hintergrund dazu bildet die Definition von Lesekompetenz von Hurrelmann (2010) und das „Didaktische Modell der Lesekompetenz“ nach Rosebrock und Nix (2020). Lesekompetenz ist demnach „die Fähigkeit zum Textverstehen im Horizont einer kulturellen Praxis, zu der es gehört, dass sich (1) kognitives Textverstehen, (2) Motivation und emotionale Beteiligung, (3) Reflexion und Anschlusskommunikation (mit anderen Lesern) ergänzen und durchdringen“ (Hurrelmann 2010, S. 23). Auch die literarische Bildung steht beim Lesen im Fokus. Lesen ist dementsprechend mehr als das Entziffern von Buchstaben, Silben und Wörtern zu. (vgl. Hurrelmann, 2002)

Schülerin mit Lesehund beim Lösen einer Aufgabe. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl
Lesen ist mehr als das Entziffern von Buchstaben, Silben und Wörtern. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl

Das Mehrebenenmodell von Rosebrock/Nix (2020) vereint die genannten Aspekte der Lesekompetenz. Es beschreibt dabei kognitive, subjektiv-persönliche und soziale Faktoren auf drei verschiedenen Ebenen: Prozessebene, Subjektebene und soziale Ebene. Die Ebenen sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig. Weiters benennt das Modell die unterschiedlichen Dimensionen des Lesens und zeigt konkrete Ansätze für systematische Fördermaßnahmen auf. Es betont neben den kognitiven Leistungen die Bedeutung von Faktoren wie Lesestrategien, Lesemotivation und Leseinteresse für die Entwicklung einer umfassenden Lesekompetenz bei Kindern. Auch die Fähigkeiten zur Reflexion und zur Weiterverarbeitung des Gelesenen in der Anschlusskommunikation und im Rahmen sozialer Interaktion werden hervorgehoben.

Ein Problem der schulischen Förderpraxis besteht häufig darin, bei den betreffenden Schüler*innen überhaupt einmal ein Bewusstsein für ihre gravierenden Leseschwierigkeiten zu entwickeln und in weiterer Folge die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme an einer Leseförderung herzustellen. Dies hängt oft damit zusammen, dass sie meist ein negatives Selbstkonzept von sich als Leser*in haben und demzufolge Lesen mit Anstrengung, Stress, Langeweile und als nicht lohnenswert etc. verknüpfen. Insofern werden sämtliche  Lesesituationen vermieden. (vgl. Hasselhorn/Gold, 2009). Ein Teufelskreis, denn wer nicht lesen will, wird es auch nicht lernen.

Um bei Schüler*innen trotzdem Leseinteresse zu initiieren und Lesefreude zu wecken, was wiederum zu einer positiveren Einschätzung von sich selbst als Leser*in und zu einer nachhaltigen Steigerung der Lesekompetenz führt (vgl. Bertschi-Kaufmann, 2010; Hurrelmann, 2010; Rosebrock/Nix, 2020),  kann der Einsatz von Lesehunden an mehreren der genannten relevanten Faktoren einer erfolgreichen und nachhaltig wirkenden Leseförderung ansetzen.

Einsatzmöglichkeiten von Lesehunden bei der Leseförderung auf allen Ebenen

Ziel ist eine umfassende Förderung der Lesekompetenz auf allen Ebenen, wie sie von Rosebrock und Nix beschrieben worden sind, d.h. durch gezielte Förderkonzepte an den Schwächen auf der Prozessebene des Lesens zu arbeiten. Auf diese Weise können die Kinder durch regelmäßiges Lesen mit dem Lesehund ihre Lesefertigkeiten kontinuierlich verbessern. Als Setting sind Einzel- oder Gruppenförderung möglich. Des Weiteren kann der Hund bei folgenden Aktivitäten eingesetzt werden: über Präsenz und Kontakt, bei aktiver Beteiligung, bei direkter Arbeit mit dem Kind/den Kindern. (vgl. Beetz/Heyer 2020, S. 72)

Kleine Figuren von Hunden und Karten mit Beschreibungen von Eigenschaften verschiedener Hunderassen als Vorbereitung auf die Leseförderung mit den Lesehunden. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl
Die Vorbereitungen bei der Leseförderung mit Lesehunden sind zwar mit viel Aufwand in Bezug auf z.B. die Gestaltung von Karten mit diversen Arbeitsaufträgen, verbunden, zahlen sich aber hinsichtlich der zu erwartenden motivatorischen Steigerung bei den Schüler*innen aus. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl

Beim Lautlese-Verfahren, welches  zur Verbesserung der Leseflüssigkeit dient, eignet sich der Lesehund als geduldiger Zuhörer. Dabei liest das Kind dem Hund laut vor und achtet besonders darauf den Text flüssig, mit angemessenem Tempo und entsprechender Betonung vorzutragen. Die positive Wirkung des Tieres, vor allem durch seine angstsenkende und stressregulierende Ausstrahlung, spielt eine große Rolle. Der Lesehund ist ein „stiller Buddy“,  der den Lesenden ermöglicht, in ihrem eigenen Tempo zu lesen und sich auf den Text zu konzentrieren, ohne unter Druck gesetzt zu werden, und zwar vollkommen vorurteilsfrei. Eine kuschelige Lesedecke und Pölster oder ein Sitzsack für Kind und Hund tun ihr Übriges. So kann das Lesen an sich wieder als etwas Positives wahrgenommen werden. Die Kinder merken, dass Lesen nichts Negatives ist, wie sie es möglichweise im Unterricht durch das Ausgelachtwerden von Mitschüler*innen bei ihrem stotternden Lautlesen wahrgenommen haben. Wenn sich dann zusätzlich ihre Lesekompetenz an sich verbessert, kann durch die Leseförderung mit Hund auch das Selbstkonzept als Leser*in deutlich verbessert und somit die Subjektebene des Leseprozesses gefördert werden. Wenn Kinder großen Spaß beim Lesen mit Hund empfinden, wirkt sich dies zusätzlich auch deutlich auf ihre Motivation, eigenständig Bücher zu lesen, aus.

Da bei der Leseförderung mit Hund auch immer eine Lehrperson und eventuell weitere Kinder anwesend sind, ergibt sich auch ein Gewinn auf der sozialen Ebene, da die Kinder untereinander und mit dem Hund interagieren, gemeinsam arbeiten und es normalerweise auch nach dem Lesen eines Textes zur sogenannten Anschlusskommunikation, einem Austausch über das Gelesene, kommt.

Auf der kognitiven Ebene unterstützt der Lesehund die Kinder dabei, Lesestrategien anzuwenden, einzuüben und Texte leichter sinnerfassend zu  lesen. Er kann auch dazu beitragen, das Textverständnis zu vertiefen, indem mit seiner Hilfe Fragen zum Inhalt gestellt oder  zur Reflexion über den Text angeregt wird. Der Hund wird gezielt für ausgewählte Aufgaben und Übungen herangezogen. Dies kann beispielsweise durch das Apportieren von Säckchen, das Verteilen von Arbeitsblättern, durch Würfeln oder durch das Drehen am Glücksrad geschehen. Auch gemeinsame Spiele zur Auflockerung, am besten in Zusammenhang mit einem „Hundebuch“, sind sehr beliebt. Die Vorbereitung der durchführenden Lehrperson ist dabei zwar mit viel Aufwand in Bezug auf z.B. die Gestaltung von Karten mit diversen Arbeitsaufträgen, am besten laminiert, verbunden, zahlt sich aber hinsichtlich der zu erwartenden motivatorischen Steigerung bei den Schüler*innen sicherlich aus.

Ein Lesehund wählt aus einem Würfel mit der Aufschrift Farbe eine Aufgabe aus. Neben ihm steht ein Mädchen und wartet gespannt. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl
Lesehunde werden bei ihrem Einsatz zur Leseförderung gezielt für bestimmte Aufgaben und Übungen herangezogen. /Foto: Claudia Rittmann-Pechtl

Die Rolle der Schulbibliothek

Die Schulbibliothek -sofern vorhanden – kann eine wichtige Rolle bei der Integration von Lesehunden in den schulischen Alltag spielen. Als zentraler Ort der Wissens-, Informations- und der Literaturvermittlung bietet sie eine ideale Umgebung für Leseaktivitäten mit Lesehunden. Sie stellt nicht nur eine Vielzahl von Büchern, wie beispielsweise aktuelle Kinder- und Jugendliteratur, insbesondere auch über Hunde, und Ressourcen zur Verfügung, die den Interessen und Bedürfnissen der Schüler*innen entsprechen, sondern kann darüber hinaus auch als Treffpunkt für Lesehund-Kurse dienen

Im Fall des BG/BRG Baden Biondekgasse ist die Schulbibliothekarin auch Deutschlehrerin und zugleich Therapiebegleithundeführerin und arbeitet mit ihren eigenen Hunden in der Schulbibliothek. Dies ist natürlich ein Glücksfall, da so die Leseaktivitäten mit Hund leichter organisiert und koordiniert werden können. Es erscheint zudem durchaus wichtig, dass, der Lesehund und sein*e Halter*in gut in das schulische Umfeld integriert sind und eng mit der Schulleitung, den Lehrer*innen und anderen Schulmitarbeiter*innen (z.B. Administration, Reinigungspersonal…) zusammenarbeiten.

Fazit

Das Gymnasium Baden Biondekgasse ist im wahrsten Sinne des Wortes „auf den Hund gekommen“, und das ist gut so, werden doch hier zwei Lesehunde zur Leseförderung und Lesemotivation der Schüler*innen in der Schulbibliothek eingesetzt. Lesehunde im schulischen Kontext, basierend auf dem Mehrebenenmodell der Lesekompetenz von Rosebrock/Nix, bieten eine effektive Möglichkeit zur Steigerung der Lesekompetenz bei leseschwachen Schüler*innen.

Über die Autorin

Mag. Claudia Rittmann-Pechtl

AHS-Lehrerin für Deutsch und Französisch, Schulbibliothekarin; Lehrende für Fachdidaktik Deutsch an der Pädagogischen Hochschule NÖ und an der Universität Wien.

Therapiebegleithündin Cuca wurde bei „dogs4kids“ ausgebildet, Therapiebegleithund Chico bei „Herzenshunde“.

Quellen

Beetz, Andrea / Heyer, Meike (2020): Leseförderung mit Hund. Grundlagen und Praxis. 2. Aufl. München: Ernst Reinhardt

Bertschi-Kaufmann, Angelika (Hg.): Lesekompetenz-Leseleistung-Leseförderung. Grundlagen, Modelle, Materialien. Stuttgart: Klett, Kallmeyer

Garbe, Christine /Holle, Karl /Jesch, Tatjana (2010): Texte lesen. Textverstehen-Lesedidaktik-Lesesozialisation. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh UTB

Gee, N. R./Harris, S. L. / Johnson, K. L. (2007): The role of therapy dogs in speed and accuracy to complete motor skills tasks for preschool children. Anthrozoös, 20(4), 375–386., online: https://doi.org/10.2752/089279307X245509 (14.3.2024)

Grünig, Christina (2019): Hundegestützte Sprach- und Leseförderung. Planungen von Sprach- und Leseförderstunden. 8. Aufl. Kerpen: Kohl

Hall, S.S. /Gee, N.R./Mills, D.S. (2016): Children Reading to Dogs:A Systematic Review oft he Literature. PLoS ONE 11(2): eo149759. Doi:10.1371/journal.pone.0149759

Hasselhorn, Marcus / Gold, Andreas  (2009). Pädagogische Psychologie: Erfolgreiches Lernen und Lehren, 2. durchges. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer

Heyer, Meike/Beetz, Andrea M. (2014): Grundlagen und Effekte einer hundegestützten Leseförderung. In: Empirische Sonderpädagogik 6 / 2, S. 172-187.

Hurrelmann, Bettina (2002). Leseleistung—Lesekompetenz. In: Praxis Deutsch, 176, S. 6–18.

Hurrelmann, Bettina (2010): Modelle und Merkmale der Lesekompetenz, in: Bertschi-Kaufmann, Angelika (Hg.): Lesekompetenz-Leseleistung-Leseförderung. Grundlagen, Modelle, Materialien. Stuttgart: Klett, Kallmeyer, S. 18-28.

Kotrschal, Kurt / Ortbauer, Brita (2003): Behavioral effects of the presence of a dog in a classroom. In: Anthrozoos: A Multidisciplinary Journal of The Interactions of People & Animals. Band 16, Nr. 2, S. 147–159.

Rosebrock, Cornelia: Was ist Lesekompetenz, und wie kann sie gefördert werden?, online: https://www.leseforum.ch/myUploadData/files/2012_3_Rosebrock.pdf (18.3.2024)

Rosebrock, Cornelia /Nix, Daniel (2020): Grundlagen der Lesedidaktik. 9. aktual. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Verl. Hohengehren

Wieckenberg, Christine (2021): Praxishandbuch Schulhund. Grundlagen, Tipps und Arbeitsblätter für den Einsatz von Schulhunden in der Sekundarstufe. Hamburg: Persen

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