Wer einen Hund dominieren möchte, ist auf dem Holzweg. Damit der Vierbeiner tut, wie er soll, braucht es Regeln – ohne körperlichen Maßregelung!
Richtig ist: Das Zusammenleben von Mensch und Hund braucht Struktur. Doch die veraltete Meinung, dass man einen Hund dominieren müsse, ist für ein harmonisches Miteinander alles andere als zielführend.
Wölfe leben in Familienverbänden mit einem Leitwolf und einer Leitwölfin. Aus dieser Konstellation wurden viele Theorien abgeleitet, die Rechnung geht aber nicht auf, Beziehungen zwischen Mensch und Hund linear wie eine Hackordnung unter Hühnern zu beschreiben. Auch sieht der Hund im Menschen mit Sicherheit keinen etwas komisch aussehenden Hund.
Was innerartlich gilt, ist nicht auf hochkomplexe soziale Gefüge unterschiedlicher Arten und unsere Interaktionen mit Hunden zu übertragen. Fest steht, dass die Dominanztheorie, nach der Hunde immer wieder mal nach einem höheren Rang streben, unserem Verhältnis zu den Vierbeinern stark zugesetzt hat. Die Auswirkungen sind auch weiterhin spürbar, wenn etwa dazu geraten wird, sich als Alphatier zu behaupten, um Rangordnungsprobleme zu klären. Will man einen Hund dominieren, kann dies erst recht Widerstand erzeugen.
Muss es ein “Alphatier” geben?
Noch immer wird vereinzelt zu Genickschütteln und absoluter Härte geraten, damit der Hund weiß, wo er hingehört: an die letzte Stelle im Rudel. Dies ist sowohl aus der Sicht des Tierschutzes als auch vom pädagogischen Standpunkt aus problematisch.
Faktum ist: Ein Hund, vor allem ein heranwachsender, braucht Klarheit und Konsequenz, aber auch Menschen, die Mitgefühl beweisen, anstatt veralteten Theorien Glauben zu schenken. Man könnte sagen: Ja, es muss einen Chef geben, aber einen fairen!
Dominanz meint in der Tierwelt Souveränität, Überlegenheit und ruhiges Auftreten. Als vermeintlich dominant gilt der Hund dann, wenn er alles andere als das ist: Wenn er beispielsweise unsicher ist, unter Stress steht oder Aggression zeigt. Wenn der Hund Ressourcen verteidigt, z. B. einen Ball nicht mehr hergibt, ihn vielleicht mit den Zähnen verteidigt, dann kann die Ursache darin liegen, dass ihm aus Unverständnis jedes Spielzeug immer weggenommen wurde. Vielleicht war sein Mensch dabei auch noch grob und laut – vermeintlich dominant – damit kein Zweifel darüber besteht, wer das Sagen hat.
Sinnvolle Grenzen
Zu tauschen, macht viel mehr Sinn! Du hast einen Ball? Gib ihn mir und ich werfe ihn oder du bekommst etwas super Leckeres! Lernt der Welpe dieses Tauschgeschäft, ist die Annäherung des Menschen positiv besetzt.
Erkennen Sie, dass Sie die zentralen Dinge im Hundeleben gezielt einsetzen können. Sie wollen schließlich nicht der Feind Ihres Hundes sein, sondern ein souveräner Freund, der den Hund anleitet und ihm Sicherheit gibt.
Konsequente Grundregeln
Wer einen Hund dominieren möchte, erzeugt ständig Druck, Unsicherheit und damit Stress. Stattdessen ist es für alle Seiten angenehmer und sinnvoller, wenn der Vierbeiner die Verknüpfung zwischen seinem guten Benehmen und angenehmen Dingen wie Spielen, Leckerlis und Extra-Streicheleinheiten erlernt.
- Gehen Sie nicht automatisch auf jede Spielaufforderung ein, sondern, wenn es für Sie passt.
- Belohnen Sie mittels Sozialkontakt, auch bei Treffen mit Artgenossen. Bevor Ihr Hund etwas von Ihnen bekommt oder Hallo sagen darf, soll er sich auf Sie konzentrieren.
- Fügen Sie kleine Gehorsamsübungen auch „grundlos“ in den Alltag ein.
- Wer Betteln oder Füttern vom Tisch zulässt, der kann die Erwartungshaltung schwer wieder abgewöhnen.
- Vorm Füttern ein Kommando wie “Sitz” oder “Bleib” macht Sinn, aber das Kommando unbedingt wieder auflösen!
- Bestimmen Sie den Zeitpunkt des Spiels und beenden Sie es auch, wenn es noch interessant ist.
- Lassen Sie Ihren Hund aber auch mal Entscheidungen treffen, das macht ihm etwa draußen Freude – aber als Belohnung für Gehorsam und Kontaktaufnahme.
- Richten Sie dem Hund einen gemütlichen Platz als Rückzugsmöglichkeit ein, den er immer ungestört aufsuchen kann, etwa bei Kindern im selben Haushalt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Hundeverhaltensforschung
Moderne Hundeverhaltensforschung hat gezeigt, dass die Dominanztheorie veraltet und oft missverstanden ist. Eine wegweisende Studie von John W.S. Bradshaw und Kollegen aus dem Jahr 2009 hat festgestellt, dass Hunde nicht primär durch Dominanz gesteuert werden, sondern durch soziale Bindungen und positive Interaktionen. Diese Forschung widerlegt die Annahme, dass Hunde ständig nach einem höheren Rang streben, und zeigt stattdessen, dass Hunde von Natur aus Kooperation und Harmonie anstreben. Die Studie fand heraus, dass eine klare, konsistente Kommunikation und positive Verstärkung zu einer besseren Lern- und Anpassungsfähigkeit bei Hunden führen.
Eine weitere wichtige Quelle ist Dr. Sophia Yin’s Buch “Low Stress Handling, Restraint and Behavior Modification of Dogs & Cats”, das 2009 veröffentlicht wurde. Yin’s Arbeit betont die Bedeutung von stressfreiem Umgang und positiver Verstärkung bei der Ausbildung und Handhabung von Hunden. Ihre Techniken basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und haben gezeigt, dass stressfreies Handling die Bindung zwischen Hund und Halter stärkt, Aggression reduziert und insgesamt zu einem harmonischeren Miteinander führt.
Quellen:
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