Sind Jagdhunde bei Nicht-Jägern unglücklich?

by Verena Hauck
Veröffentlicht: Zuletzt aktualisiert am 6 Minuten Lesedauer
Ein Jagdhund denkt in einer Denkblase an ein Kaninchen und schaut nachdenklich in die Ferne.

Jagdhunde JAGD-Hunde

Eines vorweg: Sehr viele Hunderassen haben ursprünglich dazu gedient, dem Menschen bei der Jagd zu helfen – auch, wenn man heute nicht unbedingt an Jagdhunde denkt, wenn man beispielsweise den flauschig-fröhlichen Zwergpudel oder den tapsigen Golden Retriever ansieht. Ihre Vergangenheit als Gebrauchshunde liegt bereits einige Generationen zurück. Heutzutage hat sich das Zuchtziel dieser Rassen Richtung Familien- und Begleithunde verschoben. Die Jagdinstinkte sind demnach nur mehr schwach ausgeprägt; nur mehr die immense Lust am Schwimmen oder Apportieren von Tennisbällen erinnert mehr an den Hund, der geschossene Wasservögel zum Jäger zurückbrachte.

Andere Hunderassen jedoch werden auch heute noch so gezüchtet, dass sie spezielle Aufgaben bei der Jagd ausführen können. Diese Hunde müssen aufmerksam, intelligent, kräftig und ausdauernd sein. Außerdem müssen sie ein Talent für und Freude an jener Tätigkeit zeigen, für die sie später ausgebildet werden. Bei diesen sogenannten “Arbeitslinien” verpaaren Züchter meist jene Hunde miteinander, deren Talente besonders ausgeprägt sind. Dadurch entstehen extrem spezialisierte Hunde, die ganz versessen auf “ihre” Aufgaben sind – beispielsweise Beute aufzustöbern, anzuzeigen oder zu apportieren.

Erlaubt man ihnen nicht, diesen angeborenen Instinkten zu folgen, machen sich oftmals Verhaltensauffälligkeiten und Frustration bemerkbar. Doch bedeutet das, dass Nicht-Jäger einem Jagdhund überhaupt kein artgerechtes Leben bieten können?

Führungsstile verstehen

Man muss nicht tatsächlich mit dem Hund auf die Pirsch gehen, damit sich eine Jagdhunderasse gut ausgelastet fühlt. Dennoch sollte man dafür Sorge tragen, ihre angeborenen Talente zu fördern und zu fordern. Ob man eine Jagdhunderasse also jagdlich oder nicht-jagdlich führt, muss für den Hund keinen Unterschied machen. Das gilt jedoch nur, solange man als Besitzer gewillt ist, Ersatzbeschäftigungen in befriedigendem Ausmaß anzubieten. Das bedeutet: Grundsätzlich kann jede Person jeder Hunderasse ein artgerechtes Leben bieten, solange man bereit ist, das eigene Leben (!) den Anforderungen der Rasse anzupassen.  

Hier ist im Vorfeld aber sehr sorgfältige Recherche angesagt! Am besten lässt man sich von Züchtern oder langjährigen Besitzern der ausgewählten Rasse beraten.  Denn wer versteht, auf welche Aufgabe die ausgesuchte Hunderasse spezialisiert ist, kann besser dabei helfen, diese Aufgabe kontrolliert zu simulieren und den Jagdtrieb des Hundes in die richtigen Bahnen zu lenken.

Zudem muss auch der eigene Lebensstil ausreichend Zeit für den Vierbeiner erlauben – denn eine Jagdhunderasse zu halten erfordert sehr viel mehr Zeitaufwand als ein Gesellschaftshund, der bereits mit einem 30-minütigen Spaziergang vollauf zufrieden ist. Auch die Bereitschaft, sich intensiv mit den Bedürfnissen des eigenen Hundes zu beschäftigen und regelmäßig Trainingseinheiten für ihn zu gestaltet, ist ein Muss.

Ein Hund als Repräsentant für Jagdhunde sitzt mit einem Dummy im Maul auf einem Waldweg.
Jagdersaztraining ist Pflicht für Jagdhunderassen, die nicht-jagdlich geführt werden. / Foto: sssss1gmel.

Den richtigen Jagdersatz bieten

Heutzutage gibt es viele Möglichkeiten, den Hund seiner angeborenen Neigung nachgehen zu lassen, ohne dafür einen Jagdschein machen zu müssen. Jagdersatztraining wie Mantrailing, Nasenarbeit, Suchspiele, Dummy-Training und Co. bieten eine gute Alternative für Pazifisten. Viele Jagdhundeschulen bieten auch explizit Kurse für Nicht-Jäger an. Darin können die Besitzer von Jagdhunderassen lernen, ihre Fellnasen nicht-jagdlich artgerecht zu führen. Solche Kurse bieten eine tolle Möglichkeit, zu lernen, mit dem Jagdtrieb des Vierbeiners souverän und sicher umzugehen. 

Trotzdem muss man als Jagdhundehalter eine Sache verstehen: Man kann dem Hund das Arbeitsbedürfnis nicht einfach abtrainieren oder unterdrücken. Holt man sich eine waidtalentierte Fellnase nach Hause, muss man fest damit rechnen, ein Hundeleben lang mit dem Jagdtrieb umgehen zu müssen. Lässt man die Beschäftigung schleifen, wird sich dies nachteilig auf den Hund auswirken. Meist machen sie sich dann selbstständig auf die Suche nach einer Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Und wenn ihnen dann nur ein Sofakissen zum Opfer fällt, ist man noch gut weggekommen. Wildernde Hunde sind nicht nur für andere Tiere gefährlich, sondern auch für die eigenen Halter. Denn Wilderei wird mit saftigen Strafen bedacht – und im schlimmsten Fall darf ein Jäger laut Gesetz sogar einen tödlichen Schuss auf wildernde Hunde abgeben.

Jagdhunderassen im Tierschutz

Wie sieht die Sache aber aus, wenn man als Nicht-Jäger einen bereits jagdlich ausgebildeten Hund übernehmen will, zum Beispiel aus zweiter Hand? In der Realität kommt dieser Fall so gut wie nicht vor, denn gerade fertig ausgebildete Jagdgebrauchshunde werden in der Regel im festen Netzwerk der Jägerschaft “intern” weitervermittelt.

Anders sieht es leider mit nicht-jagdlich geführten Jagdhunderassen aus. Immer öfter werden diese als Welpen unüberlegt angeschafft, weil Hunderassen wie der Weimaraner oder der Kleine Münsterländer äußerlich gefallen. Über die Bedürfnisse und Anforderungen der Rasse lernen unvorbereitete Besitzer dann auf die harte Tour. Dies bestätigte auch leitende Tierärztin Dr. Urte Inkmann vom Hamburger Tierschutzverein im Interview:

Kurz-Interview: Jagdhunderassen im Tierschutz

Wie oft kommt es tatsächlich vor, dass Jagdhunderassen oder gar ausgebildete Jagdhunde bei eurem Tierheim in Obhut kommen?

Dr. Inkmann: “Hunde der Jagdhunderassen landen nur sehr selten bei uns im Tierheim, ca. ein bis drei Mal pro Jahr; ausgebildete Jagdhunde so gut wie überhaupt nicht. Der Klassiker dabei sind Junghunde der Jagdhunderassen, die mit ca. sechs bis acht Monaten abgegeben werden, mit der Begründung, sie seien ‘zu lebhaft’. Da diese Hunde primär nach Optik angeschafft wurden, verwundert es nicht, dass diese völlig unausgelasteten Junghunde den stolzen Besitzern die Wohnung und das Auto zerlegen. Leider werden einige dann von den völlig entnervten Haltern in das Tierheim abgeschoben. Ältere Jagdhunde landen, wenn überhaupt, nur im Tierheim, wenn sie krank oder verletzt sind.”

Und wenn dies passiert, habt ihr Kriterien an die neuen
Besitzer:innen, wenn Interesse an diesen hochspezialisierten Hunderassen besteht? Was beachtet ihr in diesem Fall besonders beim Adoptionsprozess?

Dr. Inkamnn: “Die Interessenten müssen nicht nur über eine gute Sachkunde bezüglich Hundeverhalten verfügen, sondern auch Kenntnisse und bestenfalls tatsächliche Erfahrung mit den rassespezifischen Anforderungen haben sowie die individuellen Bedürfnisse des Hundes verstehen und bedienen können. Es sollten genaue Vorstellungen bestehen, wie der Hund geistig und körperlich entsprechend seinen rassespezifischen Bedürfnissen und Fähigkeiten ausreichend ausgelastet werden kann. Die Hunde sollten möglichst in eine ländliche Umgebung in ein Haus mit großem Garten vermittelt werden und die Besitzer sollten viel Zeit und körperliche Fitness mitbringen. Es sollten dem Hund zudem Alternativen zum Jagdverhalten, z.B. Dummytraining, angeboten werden.”

ein silbergrauer weimaraner blickt mit hellen augen in die kamera
Der fotogene Weimaraner ist ein Jagdhund durch und durch. / Foto: pixabay.

Fazit: Sorgfältig überlegen – muss es unbedingt ein Jagdhund sein?

Zusammenfassend gilt: Ja, auch bei Nicht-Jägern kann ein Jagdhund sehr glücklich sein. Dies erfordert allerdings, dass man als Halter SEHR viel Zeit und Mühe in den Hund und sein Training investiert – und das ein Leben lang. Die Haltung einer Jagdhunderasse ist definitiv kein Kinderspiel, sondern kommt einem Nebenjob gleich. Daher sollte man sich sehr genau überlegen, ob man dieser Herausforderung gewachsen ist und ob der eigene Alltag eine solche Aufgabe überhaupt erlaubt. Ja, Jagdhunderassen sind faszinierend und wunderschöne, elegante Tiere. Ihr Aussehen alleine sollte jedoch keineswegs ausschlaggebend dafür sein, warum man sich für diese Rasse entscheidet. Denn es gibt sehr viele andere tolle Hunderassen, die wesentlich einfacher in der Haltung sind und vielleicht besser zum individuellen Lebensstil passen.

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