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Genauso wie Katzen haben auch Hunde um die Schnauze herum feine Tasthaare. Mit diesen können sie taktile Reize und damit die Welt um sich herum wahrnehmen. Leider wird bei der Schur des Gesichts zu oft keine Rücksicht darauf genommen, die sogenannten Vibrissen intakt zu lassen.
Vibrissen, Schnurrhaare, Tasthaare, Sinushaare, Fühlhaare – es gibt viele Bezeichnungen für diese ganz besonderen Sinnesorgane. Viele Säugetiere, darunter auch Katzen- und Hundeartige (zu denen auch Wolf und Hund gehören), nutzen diese zur (Raum-)Wahrnehmung ihrer Umwelt. Dabei handelt es sich um harte, dicke Haare in unterschiedlicher Länge, die um die Schnauze herum wachsen. Diese speziellen Haare unterscheiden sich auch in ihrer Funktion vom restlichen Fell – denn sie agieren tatsächlich als Sinnesorgan. Wie ein normales Haar kann es durchaus nach Abtrennung wieder nachwachsen, doch anders als das restliche Fell sind diese speziellen Vibrissen jedoch in einer blutgefüllten Kapsel in der Haut eingebettet, dem Blutsinus. Den Wänden dieser Blutkapsel entlang liegen freie Nervenenden, welche die Vibration der Flüssigkeit bei Berührung wahrnehmen und zum Gehirn weiterleiten. So können Tiere wie der Haushund (auch lat. Canis lupus familiaris genannt) selbst minimalste Reize rezipieren.
Das Tasthaar ist essentieller Teil eines sensorischen Organs, ohne das dieses nicht funktionsfähig ist (DÖRING, 2020).
Sinnesorgan Vibrisse
Denn mit ihrer Hilfe registrieren Tiere wie Katzen oder Hunde taktile Reize aus ihrer Umwelt. Beispielsweise wissen sie durch die Berührung der Haare, ob sich etwas ihrem Gesichtsfeld nähert, oder ob eine Öffnung groß genug ist, um durchzuschlüpfen. Auch bei Dunkelheit können Vibrissen dabei helfen, Verletzungen zu vermeiden. Meldet beispielsweise ein Tasthaar über dem Auge eine Berührung, wird zum Schutz des Augapfels der Blinzelreflex ausgelöst. Zudem können Vibrissen dem Tier Aufschluss darüber geben, aus welcher Windrichtung ein Geruch an sie herangetragen wird. Bei Hunden lässt sich außerdem beobachten, dass diese manchmal mit gesenktem Kopf laufen – wahrscheinlich messen sie mit den Vibrissen den Abstand zum Boden. Auch in der Kommunikation mit Artgenossen kann man beobachten, dass Hunde die Tasthaare bei Aggression aufstellen oder in Unterwerfung abklappen können.
Dennoch wissen wir Menschen noch immer wenig über die wahren Funktionspotentiale und Bedeutung der Vibrissen bei Hunden, deren Wichtigkeit in vielen Lebensbereichen unserer Fellnasen immer deutlicher hervortritt. Noch gibt es wenige Studien über genaue Eigenschaften und Einsatzbereiche der Tasthaare. Dennoch lässt sich gut einschätzen, dass man keinem Tier seiner Sinnesorgane berauben sollte – besonders nicht aus kosmetischen Gründen.
Abgeschoren und abgeschnitten – nein danke!
Denn leider war und ist es bei manchen Tierausstellungen immer noch der Normalfall, dass unterschiedlichen Hunderassen die Schnauzen geschoren oder das Gesichtshaar getrimmt wird. Besonders betroffen sind verschiedene Rassen wie der Pudel oder Hunde mit Rauhaar und Bart im Gesicht. Dabei wird zu oft keinerlei Rücksicht auf die Tasthaare genommen – und diese werden dann kurzerhand mit abgeschnitten oder abgeschoren. Dass man den Tieren dabei einen wichtigen Wahrnehmungskanal nimmt, wissen viele nicht – oder es kümmert sie nicht. Aus diesem Grund sind im deutschsprachigen Raum ausgestellte Tiere mit gekappten Tasthaaren nicht mehr erlaubt und werden von der FCI (Fédération Cynologique Internationale) nicht mehr bewertet.
Denn laut einem aktuellen Gutachten aus 2019 handelt es sich beim Kappen der Vibrissen um einen widerrechtlichen Eingriff laut österreichischem Tierschutzgesetz. Präziser gesagt um eine „Maßnahme, die zur Beschädigung oder dem Verlust eines empfindlichen Teils des Körpers oder einer Veränderung der Knochenstruktur führt“ (§ 4 Z 8 TSchG). Auch in Deutschland ist das Abtrennen der Vibrissen tierschutzrechtlich untersagt und gilt im Sinne von § 6 TierSchG als vorübergehende Amputation, welche dem Tier zeitlich begrenzten, aber erheblichen Körperschaden bereitet.
Zudem ist die gezielte Zucht von Katzen oder Hunden, denen diese Sinnesorgane fehlen, seit einem Hamburger Gerichtsurteil von 2018 als Qualzucht verboten. Denn besonders Nackthaarkatzen wie die Sphynx wurden bewusst haarlos gezüchtet – was dazu führte, dass sie ohne Tasthaare zur Welt kamen. Aber auch das zählt als menschliches Eingreifen zur Entfernung eines Körperteils mit Körperschaden.
Tierschutz > Ästhetik
Trotzdem sind weltweit wahrscheinlich Millionen Hunde durch das gedankenlose Entfernen der Gesichtshaare betroffen. Besonders für junge Hunde kann sich daraus ein Handicap entwickeln, auch wenn das Gesicht nicht mehr geschoren wird. Denn sie müssen erst lernen, die Reize der Vibrissen korrekt zu interpretieren. Auch wenn manche Hunderassen von einem haarfreien Gesichtsfeld profitieren – es sollte immer genau darauf geachtet werden, bei der Trimmung der Bart- oder Gesichtshaare keine Vibrissen zu erwischen. Wer sich selbst so genaue Arbeit nicht zutraut, sollte sich besser an einen Hundefrisör oder anderen Profi wenden. Die Fellnase (buchstäblich!) wird es Ihnen mit Sicherheit danken. Denn jedes Lebewesen hat ein Recht auf uneingeschränkte Sinneswahrnehmung und damit einhergehendes körperliches Wohlbefinden.Ein tolles Erklärvideo zum Thema Tasthaare und zur Problematik des Abscherens könnt ihr euch hier ansehen.