Studie: Hunde können Perspektive des Menschen einnehmen

by Redaktion
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Ein Hund sieht einem Menschen in die Augen, ein Pfeil und eine Glühbirne stehen dafür, dass Hunde die Perspektive von Menschen einnehmen können.

Perspektivenwechsel Hund und Mensch

Wenn Menschen sich in die Perspektive einer anderen Person hineinversetzen, können sie dessen Emotionen, Bedürfnisse und Absichten erahnen und entsprechend reagieren. Diese Fähigkeit wird Theory of Mind (nach der englischen Bezeichnung) genannt. Der Begründer dieser Theorie, Jean Piaget, postulierte, dass Kinder erst gegen Ende des vierten Lebensjahres lernen, dass andere Menschen andere Gedanken und anderes Wissen haben als sie selbst. Im Tierreich ist diese Fähigkeit zur mentalen Unterscheidung und Zuschreibung umstritten. Bisher gibt es nur bei Menschenaffen und Rabenvögeln Hinweise darauf, dass sie die Befindlichkeiten oder sogar das Wissen anderer wahrnehmen können. Hunde wurden zwar mehrfach untersucht, doch die bisherigen Ergebnisse waren uneindeutig und widersprüchlich.

Nun haben Kognitionsbiologen des Messerli Forschungsinstituts an der Vetmeduni Wien mit einem neuen experimentellen Ansatz überzeugende Belege dafür erbracht, dass Hunde in der Lage sind, die Perspektive eines Menschen einzunehmen. Indem sie sich in dessen Position versetzen und seinem Blick folgen, können sie nachvollziehen, was der Mensch gesehen und somit gewusst haben könnte. Diese Fähigkeit zur Wissenszuschreibung stellt einen zentralen Bestandteil der Theory of Mind dar.

Menschliches Wissen als Hinweis auf verstecktes Futter

Ein etablierter Test zur Untersuchung der Fähigkeit zur Wissenszuschreibung ist das sogenannte Guesser-Knower-Paradigma. In diesem Experiment sind zwei Personen beteiligt: eine wissende Person (Knower), die entweder selbst das Futter für den Hund in eine von mehreren Schalen legt oder genau weiß, wo es versteckt wurde, und eine unwissende Person (Guesser). Der Unwissende ist während des Versteckens entweder nicht anwesend oder kann das Geschehen nicht sehen. Beispielsweise, indem eine Hand vor die Augen gehalten wird. Eine undurchsichtige Barriere verhindert, dass auch der Hund das versteckte Futter sieht.

Hund bekommt Leckerli vor das Maul gehalten.
Die Hunde durften im Namen der Wissenschaft Leckerche naschen. / Symbolfoto: unsplash.

Nach dem Verstecken werden beide Personen zu Hinweisgebern, indem sie jeweils auf eine der Futterschalen zeigen. Der Knower deutet immer auf das korrekte Versteck, während der Guesser auf eine andere Schale zeigt. Da alle Schalen nach Futter riechen, können sich die Hunde nicht allein auf ihren Geruchssinn verlassen, sondern müssen erkennen, wer wirklich weiß, wo das Futter liegt. Um an die Nahrung zu gelangen, müssen sie also verstehen, welcher Hinweisgeber glaubwürdig ist.

Laut Studienleiter Ludwig Huber entschieden sich die Hunde in etwa 70 % der Fälle für die Schale, die der Knower anzeigte. Damit bestanden sie den Test erfolgreich. Das Ergebnis blieb unabhängig von der Position der Schalen, der Identität der wissenden Person oder der Blickrichtung des Unwissenden stabil.

Futtersuche für wichtige Erkenntnis

Diese Versuchsreihe diente in erster Linie dazu, eine vorangegangene Studie aus Neuseeland nachzubilden. Den klaren Beweis, dass Hunde in der Lage sind, die Perspektive eines Menschen einzunehmen und diese zu ihrem Vorteil zu nutzen, lieferte jedoch ein neuer Test des Forschungsteams – der sogenannte Schau-hin-schau-weg-Test.

Bei diesem Test wird das Futter von einer dritten Person vorbereitet, die jedoch später keine Hinweise gibt. Die beiden „Informanten“ sitzen links und rechts neben dieser Person und richten ihren Blick in dieselbe Richtung – leicht nach unten. Dadurch kann nur eine der beiden Personen den Futterbereiter direkt beobachten, während die andere in die entgegengesetzte Richtung schaut.

Das Bild zeigt den Versuchsaufbau des Guesser-Knower-Paradigmas.
Der Grundaufbau des Guesser-Knower-Paradigmas. / Foto: Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna.

„Die getesteten Hunde mussten also durch Einnahme der Perspektive der Informanten und dem Folgen ihrer Blicke beurteilen, wer der wissende Informant ist, um an das Futter zu kommen“, erklärt Studienleiter Ludwig Huber. Trotz der höheren Schwierigkeit dieses Tests waren die Hunde auch hier in fast 70 % der Fälle erfolgreich.

Können Hunde unsere Perspektive einnehmen – ja oder nein?

„Die Studie zeigte aber, dass Hunde herausfinden können, was Menschen oder Artgenossen sehen oder nicht sehen können“, so Huber. „Indem sie die Position eines Menschen einnehmen und von dort aus seiner Blickrichtung folgen, finden sie heraus, was der Mensch sieht und daher weiß, folglich wem man trauen kann oder nicht.“

Ähnliche Fähigkeiten wies man bereits bei Schimpansen sowie bei einigen Vogelarten wie Buschhähern und Raben nach. Diese Tiere sind in der Lage, den Wissensstand ihrer Artgenossen zu erfassen. Sie leiten daraus Absichten ab und passen ihr Verhalten entsprechend an. Bei Hunden gab es bisher lediglich Vermutungen und vereinzelte Hinweise auf eine solche Fähigkeit. Allerdings verstehen sie menschliches Verhalten sehr gut, insbesondere unsere Aufmerksamkeit. Denn sie können aus sichtbaren Hinweisen wie Gesten oder Blickrichtungen lernen. Dadurch gelingt es ihnen, verstecktes Futter zu finden, selbst wenn sie es nicht direkt sehen können.

VetMedUni Wien: Hunde können Perspektive des Menschen einnehmen
Hunde können verstehen, welcher "Informant" wissen kann, wo das Futter versteckt ist. / Foto: Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna.

„Die offenbar über eine Kombination aus Domestikation und individueller Erfahrung entwickelte Fähigkeit, unser Verhalten zu interpretieren und unsere Absichten zu antizipieren, scheint bei Hunden auch das Vermögen der Perspektivenübernahme gefördert zu haben“, sagt Huber. „Noch ist nicht klar, welche Mechanismen dazu beitragen. Diese Fähigkeit hilft den Vierbeinern allerdings, sich in unserer Welt ausgezeichnet zurecht zu finden.“

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