Hunde aus dem Auslandstierschutz

by Alina Rupp
Veröffentlicht: Zuletzt aktualisiert am 5 Minuten Lesedauer
Auslandstierschutz - um Hunde aus dem Auslandstierschutz herrscht viel Verwirrung. /Foto: Grinsehunde

Beim Thema „Hunde aus dem Auslandstierschutz“ wimmelt es nur so von Klischees, Mythen und Meinungen. Von „Es sind die dankbarsten Hunde, die man haben kann!“ bis hin zu „Auslandshunde sind alle irreversibel gestörte Angsthunde!“ oder „Die brauchen starke Rudelführer!“, von „Wir müssen alle retten!“ zu „Lasst sie um Himmels Willen, wo sie sind!“ ist fast alles an Glaubenssätzen dabei.

Margot Wallner und Susanne Junga-Wegscheider, Grinsehunde-Trainerinnen, führen mit langen Jahren an Erfahrung in Leben und Arbeit mit Hunden aus dem Auslandstierschutz aus dem Wirr-Warr um den Tierschutzhund.

Sonderfall Auslandstierschutz?

Unterscheiden sich Hunde aus dem Auslandstierschutz wirklich so gravierend von Hunden aus österreichischen Tierheimen?

Viele der angeführten Mythen – Dankbarkeit, „kaputt“ – findet man generell in Bezug auf Tierschutzhunde, ganz egal ob sie aus dem In- oder Ausland kommen und ein neues zuhause suchen. Auch in österreichischen Tierheimen findet man Hunde von „Besitzer:in hat keine Zeit/Lust mehr“, behördlichen Abnahmen, ausgesetzt werden bis hin zu sehr traumatischen Vorgeschichten.

Auch wenn die Autor:innen dieses Artikels einen Schwerpunkt auf Hunde aus dem Auslandstierschutz legen, können die Überlegungen und Tipps auch auf Adoptionen aus inländischen Tierheimen umgelegt werden.

Blind date – Direktadoptionen

Eine Direktadoption aus dem Ausland hat viel von einem blind date – nur kann sich der zukünftige Lebensgefährte nicht einmal selbst beschreiben. Viele gemeinsame Lebenswege starten schon schwierig, wenn der Neuankömmling ganz anders als beschrieben scheint. Leicht wird den Vermittler:innen hier Vorsatz unterstellt.

Ein Einblick in die Realität des Tierschutzes vor Ort in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Polen … jedoch bewirkt, dass Interessent:innen diese Texte informiert lesen können.

Hunde werden so beschrieben, wie sie sich in der Situation vor Ort, die sich vollkommen vom späteren Zuhause unterscheidet, in diesen wenigen Augenblicken der Beobachtung verhalten. Auch der jeweilige kynologischen Wissensstand der Tierschützer:innen oder des Personals vor Ort ist hier ausschlaggebend und oft für eine umfassende Einschätzung nicht ausreichend.

Dadurch kann es auch ohne vorsätzliches Zutun zu großen Diskrepanzen kommen.

Eine Direktadoption eines Hundes aus dem Ausland hat viel von einem Blind Date. /Foto: Grinsehunde

Eine Direktadoption eines Hundes aus dem Ausland hat viel von einem Blind Date. /Foto: Grinsehunde

Warum sind Hunde aus dem Auslandstierschutz, wie sie sind?

Auch bei Hunden aus dem Auslandstierschutz darf nicht verallgemeinert werden, genauso wenig wie bei Rassehunden vom Züchter. Die Bandbreite reicht von unglaublich anpassungsfähigen Individuen, bis hin zu jenen mit gleich mehreren Problematiken.

Umweltängste, soziale Unsicherheiten mit Menschen, Schwierigkeiten mit Artgenossen, auf Spaziergängen, eingeschränkte Anfassbarkeit … gehören zu gängigen Themen in der Verhaltensberatung.

Wichtig ist es, zu verstehen, was den Hund formt, bis er in seinem neuen Zuhause ankommt – so wird unnützes Labeln von Verhalten vermieden, und Verständnis für die Ursachen ist stets der erste Schritt zur Lösung.

Auch bei Hunden aus dem Auslandstierschutz darf nicht verallgemeinert werden. Denn kein Hund ist wie der andere - und Verständnis für die Ursachen ist immer der erste Schritt zur Lösung.

Auch bei Hunden aus dem Auslandstierschutz darf nicht verallgemeinert werden. Denn kein Hund ist wie der andere – und Verständnis für die Ursachen ist immer der erste Schritt zur Lösung. /Foto: Grinsehunde

 

Genetik und Lerngeschichte spielen beide eine wichtige Rolle

Ein Blick auf den Typus des Hundes kann Aufschluss über Eigenschaften geben, die aus der oft noch sehr ursprünglichen Verwendung und zweckdienlichen Selektion z.b. als Herdenschutz-, Hüte- oder Jagdgebrauchshund in den Herkunftsländern herrühren.
Auf der anderen Seite gehört ein hohes Maß an Vorsicht neuen Situationen, Objekten und auch Menschen gegenüber für Straßenhunde zum überlebenswichtigen Setup.

Auch epigenetische Effekte tragen ihr Schärflein in nicht unbeträchtlichem Ausmaß bei.
Egal, ob an der Kette auf dem rumänischen Bauernhof, im Massenzwinger im bulgarischen Tierheim oder irgendwo auf der Straße, sind werdende Hundemütter existenziellem Dauerstress ausgesetzt, physisch und psychisch. Dieser hat massive Auswirkungen auf die Entwicklung der Welpen – höhere Stressanfälligkeit ist nur eine davon.
Diese Hunde kommen vorbereitet auf eine gefährliche Umwelt und ein Leben voller Risiken und Mängel zur Welt. Dies spiegelt sich im Verhalten wider.

Genauso formen Lernerfahrungen Wesen und Verhalten des Hundes. Nicht jeder Hund aus dem Auslandstierschutz hat – auch wenn es sein Verhalten vielleicht vermuten ließe – massive negative Erfahrungen gemacht. Das Fehlen positiver Lernerfahrungen, so wie den Menschen nicht als potenziellen Bindungspartner während der Sozialisationsphasen kennen gelernt zu haben, haben ähnliche Auswirkungen.

Hat ein Hund tatsächlich traumatische Erfahrungen gemacht – Misshandlung, Unfall, schwere Vernachlässigung – steht ein Training, das sich lediglich auf das Formen von Verhalten fokussiert, auf verlorenem Posten. Hier ist die professionelle Unterstützung spezialisierter Verhaltensberater:innen unumgänglich, um den Weg ins neue Leben zu ebnen.

Auf alles gefasst sein …

… und sich positiv überraschen lassen ist die sinnvollste Grundeinstellung bei Adoption eines Hundes aus dem Auslandstierschutz.

Möglich ist es, dass sich der Hund nicht berühren lässt, sich versteckt, defensiv auf Annäherung reagiert.
Möglich ist, dass der Hund mit Artgenossen bestenfalls auf größte Distanz etwas zu tun haben möchte, obwohl er sich im Massenzwinger notgedrungen verträglich gezeigt hatte.
Möglich ist, dass alltägliche Annehmlichkeiten zu wichtigen Ressourcen werden, die es zu verteidigen gilt.
Möglich ist eine gesteigerte Unsicherheit Neuem und Fremdem gegenüber, Fluchtverhalten, Geräuschsensibilität und Schwierigkeiten, bei Dunkelheit spazieren zu gehen oder im Auto mit zu fahren.

Möglich ist es jedoch auch, einen enorm anpassungsfähigen, wunderbar eigenständig denkenden Hund mit toller Entscheidungsfähigkeit und Bereitschaft, sich auf Neues wie uns als Partner einzulassen, an seiner Seite zu haben.

Auf alles gefasst sein und sich positiv überraschen lassen ist die beste Devise bei einer Adoption eines Hundes aus dem Auslandstierschutz. /Foto: Grinsehunde

Auf alles gefasst sein und sich positiv überraschen lassen ist die beste Devise bei einer Adoption eines Hundes aus dem Auslandstierschutz. /Foto: Grinsehunde

Was nicht ist, kann noch werden

Es gibt zwei Zugänge zum Hund aus dem Auslandstierschutz, vor denen gewarnt werden muss, weil sie kontraproduktiv sind.
Der eine besteht darin, den Hund mit Schwierigkeiten in dem Zustand zu belassen, in dem er ankommt, und nichts zu tun, um ihm zu helfen. Der andere wird leider im Tierschutz immer noch häufig propagiert – „Da muss er durch!“, zum „Glück“ gezwungen. Beides hat in der heutigen Verhaltensberatung keine Berechtigung mehr.
Ersteres verlängert den Anfangszustand bis zur Dauerhaftigkeit, Zweiteres führt zu Flooding, Re-Traumatisierung und Verhaltensänderung lediglich durch Aufgabe, ohne auch nur an der Ursache gerührt zu haben.

Zielführend ist es, sich für den Hund von Beginn an als vertrauenswürdiger Bindungspartner zu etablieren, der zuhört, die Umwelt so anpasst, dass sie für den Hund eine gute Erfahrung darstellt, der adäquat auf Kommunikation reagiert, ermutigt und fördert, und ein „Nein“ zu akzeptieren in der Lage ist.

Der Weg des Hundes in sein neues Leben soll mit Wegweisern zum günstigen, erwünschten Verhalten gepflastert sein, statt mit Verboten und Korrekturen. Ängste werden aus Hilflosigkeit und ausgeliefert Sein genährt. Je mehr Kontrolle wir einem verunsicherten Hund über die Kleinigkeiten seines neuen Daseins geben, umso eher kann er sein Schneckenhaus verlassen. Der Grundsatz lautet, dass Vertrauen nicht erzwungen werden kann, sondern nur freiwillig gegeben. Unsere Aufgabe ist es, das dem Hund zu ermöglichen!

Vertrauen kann nicht erzwungen, sondern nur freiwillig gegeben werden. /Foto: Grinsehunde

Vertrauen kann nicht erzwungen, sondern nur freiwillig gegeben werden. /Foto: Grinsehunde

Muss es immer schwierig sein?

Die klare Antwort lautet: nein.
Ob der gemeinsame Weg eine Erfolgsgeschichte für alle Beteiligten werden kann, liegt nur zum Teil am Hund.

Das Wahrnehmen des Hundes nicht als Abziehbild eines Klischees, sondern als Individuum mit Bedürfnissen, Emotionen, Stärken und Fähigkeiten, auch wenn diese nicht nahtlos in unsere Lebenswelt passen, ist tatsächlich die halbe Miete.
Gemeinsames Wachsen ist von jedem Startpunkt aus möglich, wenn wir bereit und in der Lage sind, auch kleine Fortschritte zu sehen, Erfolge statt Mängel, und den Hund, wie er ist, kein festgefahrenes Idealbild.

Ganz abgesehen davon finden sich auch in den Teils unmenschlichen Umständen in den Herkunftsländern Hunde mit wunderbarer Veranlagung, Hunde, die einst ein Leben bei durchaus liebevollen Halter:innen kennen gelernt hatten, Hunde, die ein bewundernswertes Maß an Bereitschaft mitbringen, es mit den richtigen Menschen noch einmal zu probieren.

Der gemeinsamen Weg ins neue Leben beginnt dort, wo der Hund steht – und nicht dort, wo wir ihn gerne schon hätten.
Sich professionelle Unterstützung für diesen Weg zu holen und nicht auf Ratschläge aus dem Internet und Versuch und Irrtum zu bauen, erhöht dabei die Chance auf Erfolg für Hund und Mensch.

Autorinnen:
Susanne Junga-Wegscheider und Margot Wallner
www.grinsehunde.com
www.vöht.at

Susanne Junga-Wegscheider ist tierschutzqualifizierte Hundetrainerin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen bei Tierschutzhunden sowie Hunden mit Angst, Stress und Aggressionsthematiken. Tierschutzhunden und ihren Menschen einen erfolgreichen Start in ein glückliches gemeinsames Leben zu ermöglichen ist Schwerpunkt ihrer Arbeit. Sie ist Mitglied der VÖHT, NICE und des Sprich Hund Netzwerks.

Margot Wallner ist tierschutzqualifizierte Hundetrainerin, Vortragende des Wiener und niederösterreichischen Sachkundenachweises und Prüferin für die erweiterte Sachkunde NÖ. Ihre Schwerpunkte liegen bei Tierschutzhunden und Hunden mit Angst, Stress und Aggressionsthematiken. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der Aufbau einer glücklichen, harmonischen und zufriedenen Beziehung zwischen Mensch und Hund. Sie ist Mitglied der VÖHT, Sprich Hund Netzwerks und der Initiative für gewaltfreies Hundetraining.

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